Presse > Kritik > 21. Februar 2006
Drei Musikertiere verlassen den Orchestergraben und schlagen sich tapfer

An Bildern mangelt es nicht. Nicht an Farben, Formen, Konturen. Vor dem inneren Auge tauchen Landschaften auf, Zugfenster, von denen die Regenperlen rinnen, Nebelwände, zart ziselierte Kristallstrukturen. Chronique de Notre Vie, Fritz Feger, Philipp Haagen und Lieven Brunckhorst, die drei Musiker montieren Kompositionsarbeiten, die sie in den letzten zehn Jahren für Bühnenzwecke zumeist am Thalia Theater entwickelten, zu einem musikalischen Road-Movie eigener Art. Nichts ist wie es war, in der konzertanten Aufführung muß die Musik allen Sinn, alle Spannung aus sich selbst erzeugen, muß ihr eigenes Zeitmaß entwickeln, die Bögen von Spannung und Entspannung.

Da haben die drei ordentlich zu tun. Zumal sie ja ständig unterwegs sind, mal in einem Pariser Straßencafe und im nächsten Moment irgendwo in der mongolischen Steppe, dann wieder in der Nacht des Tangos oder in einem stickigen Berliner Hinterhof auf Walfang. Im Kern steht das Trio, stehen rein akustische Methoden der Klangerzeugung, und die sind erstaunlich vielfältig.

Stimme und Stimmen, Klavier oder Posaune, Cello, Saxophon oder Klarinette, dazu ein kleines Allerlei von indischem Harmonium, Melodika, Glockenspiel und so weiter. Doch so geschmeidig sich die melodischen Führungen in die Sinne schleichen, so leichtfüßig diese Musik jede stilistische Erwartung austanzt, hat sie am Sonntag abend in der Thalia-Dependance in der Gaußstraße alle Mühe, die eine Klippe zu überwinden.

Ein Theater ist ein Theater ist ein Theater. Das ist auch im Thalia so. Ein Theater hat ein bestimmtes Publikum, und das ist mit dieser Musik auf eine Art vertraut. Und damit entfällt die Reibung, an der sich die Musik erhitzen könnte, an der sich Brüchigkeit zu Brüchen verdichtet und die kristallisierten Strukturen sich verflüssigen. Damit diese Musik wirklich zu dem Erlebnis wird, das ihre Einzelteile andeuten, muß sie erst noch heraustreten aus dem Schutzraum Thalia.
sth
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zuletzt aktualisiert am 22.2.2006