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Neue Presse vom 24.5.2004


Wie komisch kann Bert Brecht sein? "Herr Puntila und sein Knecht Matti" hatte im Ballhof Premiere

von Siegfried Barth


Dieser Kapitalist ist ein kapitaler Säufer, zum Glück, denn im Suff vergisst er seine Prinzipien und nimmt menschliche Züge an. Nur seine "Anfälle" von Nüchternheit sind unerträglich. Nie hat Bertold Brecht das Feindbild des Klassenkampfs so schillernd und kompakt in eine Figur gegossen wie im Puntila. Sein "guter Mensch von Sezuan" ist ein ähnlich dialektisches Konstrukt aus gut und böse. Aber das ist ein ernsthaftes Lehrstück, während "Herr Puntila und sein Knecht Matti", 1940 geschrieben im finnischen Exil, ein enormes Komik-Potential hat.

Das mag daran liegen, dass dem Puntila ein finnischer Volkstheaterstoff zu Grunde liegt, und so derb und erdverbunden wird das auch gern inszeniert. Hier nicht, das ist ein sauberes Haus, und Puntilas Darsteller Matthias Neukirch eher der Antityp eines Säufers, schlank, drahtig, eine Nadelstreifenfigur. So einer rastet nie ganz aus, aber wenn, dann sind seine Grenzgänge zwischen gut und böse umso tückischer und gänzlich unberechenbar. Neukirch ist vielleicht der eleganteste Puntila, den es je gab, im Suff ist sein Witz besonders trocken.

Sein handfester Widerpart Matti, Moritz Dürr, ist dagegen solide geerdet - ein Schlitzohr, das aus den doppelgesichtigen Eskapaden seines Herrn das Beste für sich herauszuholen versteht.

Das übrige finnische Landpersonal hat Regisseur Christoph Frick neu sortiert und aufgemischt, teils mit Doppelbesetzungen. Als Puntila im Aquavit-Rausch gleich vier Verlobungen feiert, mischen sich unter die Bräute auch ein paar schrill verkleidete Männer. Da wird die Landkneipe zum Transvestitenklub - so weit kanns kommen, wenn man weiße Mäuse sieht.

Oh, welch eine wunderbare Schlampe! Oda Thormeyer als Puntilas Tochter Eva, die erst einen scheinheiligen Atache (Sebastian Haase), dann den Knecht heiraten soll, taumelt herrlich komödiantisch durch alle Wechselfälle - wobei ihr weibliches Selbstbewußtsein auf wundersame Weise unbeschädigt zu bleiben scheint.

Solche schauspielerischen Kabinettstücke hat Regisseur Frick offenbar gewollt und gefördert. Die zwei Stunden sind voll davon, auch wenn die feinen Soli sich nicht immer in Zusammenhänge fügen. Brecht-Puristen werden die zentrale Botschaft vermissen, die ist in der Tat etwas verbaggert und gegen den Strich gebürstet.

Eine Demo, die am Rand der Lächerlichkeit herumstümpert, oder die auf der Tuba gegrunzte und fast verhunzte "Internationale", das ist alles politisch nicht korrekt. Theatermusiker Philipp Haagen, auf mehreren Instrumenten oder mit keifender Singstimme, ist ätzend gut. Regisseur Frick gibt ihm viel Raum, und so fühlen wir uns zeitweise fast wie in einer Helge-Schneider-Show. Aber auch das kommt gut an, der Beifall ist lang und herzlich.
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zuletzt aktualisiert am 6.11.2005